In der öffentlichen Diskussion dreht sich derzeit fast alles um die Corona-Pandemie. Dies ist auch zweifellos gerechtfertigt, schließlich sind die Folgen inzwischen weltweit stark spürbar. Ein großes Problem für die Entscheider sind derzeit noch viele Unsicherheiten zur Ausbreitung und zur Wirkung dieser Pandemie. Natürlich ist klar, dass bei einem solchen Virus die Ansteckungsrate die wichtigste Rolle spielt und dass somit alles, was diese Rate erhöht, zur Ausbreitung beiträgt. Damit ist z.B. gut erklärbar, dass dort, wo viele Menschen auf engem Raum leben, die Ausbreitung begünstigt wird. Ebenso ist gut erklärbar, dass Länder, die enge Handelsbeziehungen mit China haben oder weltweite Tourismusziele sind, besonders gefährdet sind. Dazu gehören sicherlich Deutschland und Italien. Aber insbesondere die folgenden Beobachtungen sind offensichtlich derzeit nicht gut erklärbar:

  • Warum hat sich das Virus in Norditalien so stark ausgebreitet?
  • Warum ist die Zahl schwerer und lebensbedrohlich Erkrankter (und als Konseqenz auch die Todesrate) derzeit von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich, vor allem zwischen Deutschland und Norditalien?

Dieses Diskussionspapier beleuchtet eine mögliche Erklärung dieser Fragen, welche bisher noch nicht in Betracht gezogen wurde.

Aus wissenschaftlichen Studien weiß man, dass akute Atemwegserkrankungen und auch akute Herz/Keislauferkrankungen durch hohe Luftverschmutzung, insbesondere durch Feinstaub begünstigt werden. Beobachtbar ist auch regelmäßig ein Zusammenhang zwischen der Schadstoffbelastung und der jährlichen 'Grippewelle', sowohl im zeitlichen Ablauf als auch in ihrer jeweiligen Stärke, wobei damit nicht so sehr  die Influenza gemeint ist, sondern die Atemwegserkrankungen generell. Dazu gibt es auf dieser Seite einige Informationen. Schadstoffe können vermutlich als 'Brandbeschleuniger' oder auch als zusätzliches Risiko bei der Schwere der Infektion eine Rolle spielen. Leider sind die genauen Wirkungsketten wissenschaftlich anscheinend noch nicht gut verstanden. Die wissenschaftlichen Studien basieren meist auf statistischen Grundlagen, wie z.B. der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Krankenhauseinweisungen oder der Konsultationsrate in den Arztpraxen und den Perioden von hohen Schadstoffkonzentrationen.

Feinstaub- Situation ab Anfang Februar in Europa

Daher ist es interessant, einen Blick auf die Schadstoffkonzentrationen in Europa zu werfen. Dazu ist es sinnvoll, den Zeitraum ab Anfang Februar zu betrachten. Die Epedemie hat in Europa in Italien begonnen. Laut.dieses Wikipedia-Artikels war dies um den 20.Februar herum der Fall. Den ersten Todesfall gab es dort bereits am 22.2.2020. Da die Inkubationszeit bei dem Virus recht lang ist und man in der Presse auch immer wieder hört, dass die Zahl der infizierten schon vorher unerkannt höher war, könnten die Schadstoffkonzentrationen bereits Anfang Februar Auswirkungen gehabt haben.

Die Schadstoffkonzentrationen hängen stark vom Wetter ab. Daher ist als erstes der Blick auf die Witterung in diesem Zeitraum wichtig.

Das Wetter in Europa war in diesem Zeitraum durch eine außergewöhnlich beständige und milde Westlage geprägt. Dies bedeutete, dass die Feinstaubkonzentrationen in Europa im Vergleich mit anderen Jahren relativ gering waren. Es gab allerdings eine große Ausnahme: Die Poebene. Selbst Osteuropa hatte meist vergleichsweise gute Luft, wobei Osteuropa bei dieser Betrachtung (momentan noch) keine wichtige Rolle spielt, weil es in diesen Ländern bisher keine oder nur wenige Corona-Fälle gab. In der Poebene war dies aber anders.

Die Poebene ist bei solchen starken Westwindlagen wie in diesem Februar durch die Alpen sehr gut geschützt. Sie hat dann eine Art Kessellage. Daher gab es insgesamt 3 gut ausgeprägte Perioden mit austauscharmem Wetter und damit mit hohen Schadstoffkonzentrationen vor allem in der Lombardei und östlich davon bis Venetien. Diese Episoden hoher Feinstaubwerte sind auf der folgenden Grafik beispielhaft an einer Station des Ortes Gorgonzola gut zu erkennen.

Gorgonzola Feinstaub 2020 03 08T20 09 01.393Z

Quelle: https://maps.sensor.community/grafana/d/000000004/single-sensor-view?orgId=1&var-node=39920&fullscreen&panelId=2&from=1579042800000&to=1583794799000

Datenquelle dieser Grafik ist das Umweltnetzwerk luftdaten.info bzw. sensor.community. Die Angaben sind in µg/m3. Das Bild zeigt die 2,5 Minuten-Mittelwerte und daher auch teilweise sehr hohe Spitzen.

Gorgonzola liegt etwas östlich von Mailand, wo der Ballungsraum allmählich ländlicher wird. Andere Orte in der Poebene zeigen ähnliche Verläufe .Es waren also nicht nur die großen Städte selbst betroffen, sondern diese Feinstaub- Episoden waren flächenhaft, insbesondere bei der Feinstaubfraktion PM2,5, welche noch stärker gesundheitsrelevant ist als PM10.

Das folgende Bild zeigt die Tagesmittelwerte seit dem 8.2.. Es zeigt auch die Relation zu den EU-Grenzwerten. Für PM10 ist es der Grenzwert für den Tagesmittelwert. Für PM2,5 ist es, in Ermagelung eines Tagesgrenzwerts, hilfsweise der Jahresgrenzwert.

Anmerkung zu den Daten des Luftdaten.info- Netzes: 
Bei den gezeigten Diagrammen des luftdaten.info- Netzes muss man berücksichtigen, das bei solchen Wetterlagendie Werte durch Kondensationsbildung höher sein können als bei den offiziell von der staatlichen Seite gemessenen Werten. Die offizielle Messmethode trocknet die Luft vor der Messung und berücksichtigt daher die Kondensation nicht. Die Einbeziehung von Kondensation (Wassertröpfchen), kann aber auch von gesundheitlicher Relevanz sein, da kondensierte Partikel potentiell zusätzliche Wirkungen haben könnten (was das Kunstwort  'Smog' auch ausdrückt)

Zwei Auszüge der Feinstaubkarte von luftdaten.info bzw. sensor.community zeigen die Situation im europäischen Vergleich beispielhaft an. Die erste Karte ist die Karte vom 2.2.2020. An diesem Tag war der Höhepunkt der ersten Welle im Februar.

Feinstaub Situation Europa 02 02 2020

Die 2. Karte ist vom 18.2.2020 um 12 Uhr, also in der 3. Welle und direkt am Beginn des Ausbruchs (am 22.1. trat der erste Todesfall auf):

Feinstaub Situation Europa 18 02 2020

Auf beiden Karten ist jeweils sehr schön die Sonderstellung der Poebene erkennbar. Immerhin liegen die beiden Karten 16 Tage auseinander.

Zu diesen Karten gibt es eine Animation. Bitte aber beachten: Diese Anwendung ist noch in einem experimentellen Stadium.

Ursache: Die Wettersituation in Europa seit Anfang Februar

Wie schon geschrieben, war die Ursache für diese Feinstaubsituation die Wetterlage. Die nächsten beiden Bilder zeigen die jeweilige Druckverteilung über Europa aus dem Archiv der Wetterzentrale. Zuerst wieder die Karte vom 2.2.2020:

Druck Europa 02 02 2020Quelle: https://www.wetterzentrale.de/reanalysis.php?map=1&model=cfsr&var=1&jaar=2020&maand=2&dag=2&h=0&nmaps=24

Daraus ist gut die kräftige Südwest/Westströmung an der Nordflanke des Hochs über der iberischen Halbinsel erkennbar. Diese führt über West- und Mitteleuropa zu einer guten Durchmischung. Auf Höhe der Poebene ist sogar (für Wetterexperten) das Leetief erkennbar, welches sich durch diese Strömung ausgebildet hat.16 Tage später ist die Lage ähnlich:

Druck Europa 18 02 2020

Die atmosphärische Schichtung in der Poebene

Diese Großwetterlage führte in der Poebene in 3 Wellen zeitweise zu den typischen Inversionswetterlagen, welche am besten aus den Diagrammen der Wetterballonaufstiegen zu erkennen sind. Sie zeigen die atmospärische vertikale Schichtung am jeweiligen Ort. In Mailand finden täglich solche Ballonaufstiege statt. Das folgenden Diagramm zeigt die Schichtung der Atmosphäre am 2.2.2020 um 12z (d.h. um 13:00 Uhr).

Ballonaufstieg Mailand 02 02 2020

Quelle: http://weather.uwyo.edu/cgi-bin/sounding?region=europe&TYPE=GIF%3ASTUVE&YEAR=2020&MONTH=02&FROM=0212&TO=0300&STNM=16080

Die rechte schwarze Linie zeigt die Lufttemperatur beim Aufstieg des Wetterballons. Die linke Linie zeigt den Taupunkt. Daraus ist ersichtlich, dass es in Bodennähe eine Temperaturumkehr mit der Höhe gab. Unten ist es relativ kühl, oben ist es warm. Der Wind ist am Boden schwach und die Luftfeuchte hoch. Dort war also den ganzen Tag eine gut ausgeprägte Inversionslage und durch die hohe Feuchte eine Smoglage. Kein Wunder, dass die Schadstoffwerte so hoch waren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang noch zu erwähnen, dass es am Boden nicht wirklich kalt war (zumindest nicht im Vergleich zu mitteleuropäischen Verhältnissen). Es war lediglich die Luftschichtung, welche diesen Effekt erzeugt hat. Dies ist deshalb wichtig, weil im Zusammenhang mit Virusinfektionen oft erwähnt wird, dass kalte Temperaturen und trockene Luft die alleinigen wetterbedingten Ursachen für die höhere Infektionsrate im Winter seien.

Der Ballonaufstieg vom 18.2.2020 zeigt ein ähnliches Bild, wobei aber die Inversion nicht ganz so kräftig war:

2020021812.16080.stuve.parc

Kurzer Blick auf den Ausbruch in China

Vor diesem Hintergrund liegt der Verdacht nahe, dass die Feinstaubkonzentrationen möglicherweise eine nicht ganz unbedeutende Rolle für den Ablauf und die Stärke der Epedemie haben könnten. Diese Aussage würde natürlich auch für den eigentlichen Ausbruch in China gelten. Wuhan liegt im Landesinneren. Dort sind die Feinstaubkonzentrationen im Winter immer sehr hoch. Leider gibt es direkt dort keine Messstation des luftdaten.info Netzes. Aktuelle Werte sind aber im Netz verfügbar und bestätigten dies. Die Konzentrationen lagen meist höher als in Norditalien.
Bei der Talkrunde von Anne Will am 8.3.erklärte eine Ärztin auch, dass die Ursache dafür, dass in der Region Wuhan die Epedemie- Verläufe in der Stadt selbst und im ländlichen Hinterland sehr unterschiedlich waren, nicht erklärt werden könnten. Möglicherweise könnte dabei auch die Feinstaubkonzentration eine Rolle spielen bzw. gespielt haben. Für eine Überprüfung fehlen dem Verfasser aber die notwendigen Daten.

Folgerungen und Ausblick

Dieser Artikel stellt nur eine These in den Raum und kann als Diskussionslage dienen. Er hat keinen wissenschaftlichen Anspruch. Angesichts der immer dramatischer werdenden Situation sollten solche Aspekte nach Ansicht des Verfassers aber zumindest in die Erwägungen einbezogen werden. Untersuchungen bzw. Forschungen zu diesen Zusammenhängen wären notwendig, welche von der Politik veranlast werden sollten.

Vielleicht haben wir in Deutschland ja bisher nur Glück mit dem Wetter gehabt. Nach den derzeitigen Wettermodellen könnte allerdings nächste Woche eine Umstellung der großräumigen Wetterlage erfolgen und daher die Schadstoffkonzentrationen steigen. Wenn es tatsächlich den geschilderten Zusammenhang gibt, könnte dies auf den weiteren Verlauf der Epedemie in Deutschland ggf. Konsequenzen haben.

Die gute Nachricht ist: Mit der fortschreitenden Jahreszeit nimmt die Wahrscheinlichkeit für hohe Feinstaubkonzentrationen grundsätzlich immer mehr ab.